Neben der großen Bedeutung Martin Luthers für den protestantischen Kirchengesang ist auch der Theologe und Dichter Paul Gerhardt (1607-1676) zu erwähnen, vor allem im Zusammenhang mit dem Werk Bachs. Gerhardt lebte im 17. Jahrhundert, also zwischen Luther und Bach. Dieses Jahrhundert war besonders geprägt durch den Dreißigjährigen Krieg zwischen 1618 und 1648, der in Deutschland Millionen von Opfern forderte. Die kriegerische Gewalt und ihre Folgen hatten großen Einfluss auf die Entstehung neuer Creutz- und Trostlieder. Auch die Pestepidemien und Naturkatastrophen, die Europa im 17. Jahrhundert heimsuchten und zu Missernten, Hungersnöten und Armut führten, führten zu konkreter Not, die in Liedern ihren Ausdruck fand. Der Dichter Paul Gerhardt und der Komponist Johann Crüger sind wichtige Autoren dieser Zeit. Das von Crüger 1646 herausgegebene Gesangbuch, das Gerhardts erste Lieder enthält, bietet in der Rubrik Vom Creutz und Anfechtung, die sich mit dem Kreuz und den Glaubenszweifeln befasst, mehr als 50 Trostlieder. Sieben Lieder sind für eine Pestzeit gedacht, neun beten für den Frieden und 49 Lieder sind als Trost im Sterben gedacht.

Trost in schweren Zeiten
Mit seinen Liedern voller Gottvertrauen wollte Gerhardt die Menschen in all dem Elend jener schweren Zeit trösten. Er war von der bleibenden Bedeutung der Kirche für den Trost der Gemeinde überzeugt, sah aber auch den Wert der persönlichen Frömmigkeit. Seine Lieder stehen für den Übergang von der allgemeinen kirchlichen Lehre zum persönlichen Gefühlsleben, von Bekenntnisliedern zu Liedern zur Glaubensbildung. Dieser Wandel ist leicht zu erkennen: Bei Luther singt die ganze Gemeinde zu Gott, bei Gerhardt spricht der Einzelne. Gerhardt förderte auch die Entwicklung vom alten Bekenntnislied zum Andachtslied, und er ermutigte das vertrauensvolle Lob- und Dankgebet.
Ein schönes Beispiel für ein solches Lied ist Auf, auf, mein Herz mit Freuden, ein Osterlied, in dem der Sieg Christi über den Tod als Trost dienen kann, für die, die jetzt unter den Bedrohungen des Lebens leiden.
Hören Sie hier eine Aufnahme dieses Liedes aus dem Jahr 1960, vorgetragen von Aafje Heynis und dem Organisten Simon C. Jansen.
Den Text des Liedes (und Verweise auf niederländische Übersetzungen) finden Sie auf der Website Kerkliedwiki.
Genehmigung der Hymnologen
Alle Hymnologen des 18. Jahrhunderts lobten das Werk von Paul Gerhardt. Der maßgebliche lutherische Prediger und Bischof von Lübeck, Georg Heinrich Götze, schrieb 1714 Folgendes:
„Die Lieder des frommen und geistlichen Lehrers Paul Gerhardt sind für mich das Tröstlichste und Annehmlichste in diesen Zeiten. Ich gebe Gott hier offen die Ehre und bekenne, dass kein Lied nach dem seligen Luther mein Herz mehr berührt und mich mehr bewegt hat, als die kostbaren Lieder des guten Paul Gerhardt.“
Für den gottesdienstlichen Gebrauch riet Götze allerdings, die manchmal zu konkreten Bezüge zu besonderen Situationen und Zeiten wie dem Krieg wegzulassen. Außerdem reichten die Lieder allein nicht aus, es sei auch notwendig, so Götze, „die notwendigen Glaubenslehren und Lebenspflichten zu lehren, aus diesen Liedern zu lernen, wie man die wichtigen Artikel des Glaubens gründlich verstehen und seinen Glauben durch einen heiligen Lebenswandel bereichern soll.“
Die Furcht vor einer allzu pietistischen Glaubensauffassung bleibt auch bei dem orthodoxen Lutheraner Götze nicht unerwähnt. Lassen wir deshalb Paul Gerhardt selbst zu Wort kommen mit dem Text seines Liedes Befiehl du deine Wege, einem zwölfstrophigen Vertrauenslied, dessen Strophen er jeweils mit einem Wort aus dem Text von Psalm 37, Vers 5, beginnt: „Befiehl dem Herren dein‘ Weg und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen“.
Bach nahm die erste Strophe von Gerhardts Lied in seine Matthäuspassion auf, allerdings auf die Melodie von Hans Leo Hassler, die auch für das Lied O Haupt voll Blut und Wunden verwendet wird. Als Gerhardts Liedtext 1653 erstmals veröffentlicht wurde, verwendete er eine bereits vorhandene Melodie von Bartholomäus Gesius, die später von Georg Philipp Telemann etwas angepasst wurde.
Hören Sie hier eine eindringliche Aufführung dieses Liedes, in der der Schauspieler Otto Sander den Text rezitiert, untermalt von Orgelspiel von Torsten Laux und Gesang der Thomaner aus Leipzig.
Den Text des Liedes finden Sie auf der Website Kerkliedwiki.


Bild von Paul Gerhardt aus dem 17. Jahrhundert und eine frühe Ausgabe des Liedes Befiehl du deine Wege. (Quelle: Wikipedia)